Friday, 20 December 2013

A Christmas Carol



VIII


Ausgezehrt.
Zerkratzt. Blutig.
Eingepfercht.
Erblindet.
Gefestigt.
Gestärkt. Gelobt.
Selbsbewusst.
Sozialisiert.



Weihnachten steht bevor.  Leise Rieselt heißt hier wohl Leise Nieselt. Trotz der riesigen Weihnachtsbäume in den Empfangshallen der Büros im Stadtzentrum, der aufdringlichen Jingles in den Kaufhäusern, der reißerischen Angebote für Geschenke und der sogenannten Weihnachtsfeiern (Trinkgelagen) ist das "schönste Fest des Jahres" irgendwo im Nebel zwischen den schottischen Highlands und York hängen geblieben. London hat es (noch) nicht erreicht. Oder vielleicht auch nur mich nicht.

Man beschwört in diesen Momenten Spaziergänge im tiefgefrorenen Wald herauf - die Zweige der Bäume waren ganz weiß und sahen aus wie aus Eis gemeißelt. Eine Schlittenfahrt im Tiefschnee endete mit den lachenden Kindern im Schnee, als das "Pferdchen" plötzlich links abbog. Man stellte noch Teller und Schuhe auf das Fensterbrett, um sie am nächsten Morgen mit Erdnüssen, Mandarinen und Schokolade gefüllt vorzufinden. Und die alten Lieder. Last Christmas hieß damals noch Alle Jahre wieder - und man nahm zwei Stufen auf einmal, um dieses Mal doch noch einen Blick auf das Christkind zu erhaschen.

Die Unschuld und pure Freude scheint mit dem Erwachsenwerden zu schwinden. Wir werden praktisch immun gegen Weihnachten; die Arbeit steht im Vordergrund; und plötzlich ist es schon wieder Ostern und die Kinder sind auch schon zu alt für den Weihnachtsmann. Wir legen uns quer gegen Völlerei, Kekse und lange Weihnachtstage innerhalb der Familie. Nicht schon wieder.

Diese Sicht ändert sich dramatisch, wenn die Familie nicht in der Nähe ist. Wenn die Familie nicht vollständig ist. Wenn die Familie zerstritten ist, oder eine Krankheit ein Familienmitglied bedroht. Aus einer nervtötenden wird eine unabdingliche Notwendigkeit, mit seinen Liebsten zu feiern. Wenn es auch nicht aus religiösen Gründen geschieht, so kann man trotzdem einen beinahe spirituellen Akt der Gemeinschaft und des Zusammenhalts zelebrieren. In anderen Worten: unabhängig zu sein ist ein gutes Gefühl, solange man nicht alle Fäden durchtrennt.


England schenkt mir ein paar sonnendurchflutete Tage, die den grauen Büroalltag erheitern. Die Tage sind viel zu kurz und man ist gezwungen, vom Bett in die Nacht ins Büro in die Nacht ins Bett zu wandeln. Ich warte wie ein Kind auf die Dose mit den fein verzierten und wunderbar duftenden Keksen von Zuhause und freue mich bei Ihrer Ankunft wie damals über die Geschenke vom Christkind. 

Morgen werden Dan und ich zum ersten Mal Carol-Singen in einem englischen Dörflein gehen. Das dürfte wohl doch ein bisschen Weihnachtsstimmung aufbringen. 

Ich wünsche euch allen eine wunderbare Weihnachtszeit mit euren Lieben. Wenn ich auch nicht bei meiner Familie sein kann, bin ich froh dass ich auch hier eine Familie habe, die mich ins Herz geschlossen hat.



















Friday, 15 November 2013

Morbus Helveticus


VII


I miss the city I love but I've been having an affair
With L.A and New York, Dundee
And Doncaster if I may dare
Of course I do, of course I do
But I was meant for this place, and I was meant for you

 The Opener by The Courteeners



Der Bus hält am Flughafen Schwechat, um die letzten Kilometer in meine Stadt zurückzulegen. Es scheint, als ob es der Busfahrer selbst nicht erwarten kann, in Wien anzukommen, so fest tritt er auf das Gaspedal. Nach einer langen, harten Nacht am Stansted Airport durchflutet mich eine hungrige und grantige Übelkeit. Der Fußboden war doch auch schon einmal weicher.

Was wird in mir drinnen geschehen, wenn ich all die geliebten Orte wiedersehe? Im Moment sind wir auf der ach-so-langweiligen-und-ewig-gleichen Autobahn, passieren die Raffinerie, DEN Meilenstein vor der Stadt. Der Wind peitscht gegen die verdreckten Fenster. Mein Kopf steckt im weichen blauen Nackenpolster wie in einem Schraubstock und ruht auf dem grässlich gelb-orangen Vorhang. Ich lasse das Buch auf meinen Schoß sinken, schließe die Augen und hole mir verdrängte Bilder in den Kopf. Ein Lächeln spielt auf meinen Lippen und meine Nase rümpft beim angenehmen Geruch von Ölprodukten, der aus der Raffinerie dringt. Mein rechtes Bein überschlägt das linke und mein Blick konzentriert sich auf die nasse Straße.

Mir wird plötzlich bewusst, wie sehr London es geschafft hat, mich an sich zu gewöhnen. Mein Verstand hat akzeptiert, dass der Körper versetzt wurde - wie eine Schachfigur auf einem riesigen Spielfeld - und gibt ihm zu verstehen, sich anzupassen. Das bezieht sich nicht nur auf die großen, lauten Ausmaße, sondern auch auf winzige Dinge wie das wertvolle Wissen, an welcher Stelle man in den Overground steigen muss, um zeiteffizient am Ziel auszusteigen. These things take time.

Auf einmal freue mich auf ein Wurstsemmerl mit Essiggurkerl, das ich mir im Billa am Praterstern kaufen werde. Mein Bus fährt an den Gasometertürmen vorbei, tuckert über die Stadionbrücke und bringt mich endlich nach Erdberg. Die Ubahnstationen sind so unglaublich nah aneinander und ich lausche aufgeregt dem Wiener Gemunkel der Passagiere. Den Verkäufer im Supermarkt muss ich zweimal fragen was er gesagt hat, weil ich nicht daran gewöhnt bin eine deutsche Antwort zu erhalten. Da ist der Ströck auf der Landstraße, der Handyshop am Radetzkyplatz, die Sandler vor dem Pratersterngebäude. Die schmutzige, aber charmante Donau.

Wie erwartet, erleide ich an diesem Wochenende einen Frischluftschock; ich bleibe strikt österreichisch und genieße Glühwein, Gansl und strahlenden Sonnenschein in den hügeligen Weinbergen. Die Stille ist fast erdrückend, aber für die Ohren klingt sie wie ein Geplänkel auf einer spanischen Gitarre. Die Dunkelheit in meinem Dorf ist schwärzer als Kohle und erschrickt mich wie eine Katze, die aus einer Seitenstraße hervorspringt. Und mein Kater überwindet seine Ängste und folgt uns beim nächtlichen Spaziergang, als ob er verhindern will, dass ich gleich wieder abhaue.

Sonntag Abend ist am schlimmsten. Ich habe jede Sekunde aufgesogen, wie man auch die letzten Reste Alkohol mit dem Strohhalm aus einem Glas Mojito saugt und wie man verzweifelt einen Kaugummi kaut, um die letzten Reste Aroma aus ihm herauszupressen. Ich möchte die Momente mit meinem geistigen Auge einfangen, um später daran nagen zu können, wie ein Hund an seinem geliebten Knochen. Hatte ich schon verdrängt, dass Distanz vergessen lässt, wie sehr man gewisse Menschen liebt? Die Sache ist die: man vermisst jene erst dann, wenn man sie wieder in die Arme geschlossen hat und feststellt, wie sehr man sie braucht.

Eine Fahrt durch Wiens Straßen erzeugt ein Kribbeln am ganzen Körper, eine Gänsehaut die man bekommt, wenn eine Violine leise im Hintergrund spielt. Die alte rot-weiße Straßenbahn ist mein liebstes Fahrzeug und bringt mich zu Orten voll von Emotionen und Erfahrungen. Bald frohlockt die Ferne wieder und ich lasse meinen Rucksack auf den Sitz des Busses nach Bratislava fallen. So leicht lässt sie sich jedoch nicht abwerfen, die gute alte Heimat. Ihre Rufe werden nicht verhallen, wie weit man auch von Zuhause entfernt ist.













Saturday, 12 October 2013

O Thee Old London

VI

"It is not the walls that make the city, but the people who live within them. The walls of London may be battered, but the spirit of the Londoner stands resolute and undismayed."
- George VI



Ihr wartet sicher schon auf ein paar Geheimtips, was ihr in London alles anstellen könnt. Noch ein Grund für mich, euch damit zu versorgen, damit ich möglichst bald wieder Besuch von Zuhause kriege. Da es endlich mit einem Job geklappt hat, muss ich mich beeilen, sonst habe ich bald keine Zeit mehr für meinen Blog. Frisch motiviert nehme ich also mein kleines Büchlein aus der Tasche und versorge euch exklusiv mit meinen gekritzelten, eingekreisten und gelb und rosa angestrichenen Erfahrungen über die wunderbare Stadt. (Unglaublich, wie schnell sich das Verhältnis zu einem Ort ändern kann, wenn man berufliche Erfolge feiert.)

Wo beginnt man denn am besten - an welchen Ecken und Enden? Eines muss gesagt werden: das hier ist kein Leitfaden durch die touristisch verstopften Straßen Londons, sondern viel mehr bunte Lesezeichen zu interessanten und sehenswerten Örtchen off the beaten tourist track. Für die Houses of Parliament, London Eye und Madam Tussaud's könnt ihr auch Lonely Planet konsultieren. Manche unter euch werden eine historisch orientierte Besichtigung schätzen, also werde ich damit beginnen. 

Guildhall Art Gallery
London existierte bereits, bevor die gierigen Römer über die britische Insel herfielen. Von den römischen Bauten ist logischerweise nicht mehr viel erhalten, nur mehr ein Stück der alten Stadtmauer und die Überreste des Amphitheaters von Londinium. Man kann letzteres im Untergeschoß der Guildhall Art Gallery bestaunen, das übrigens wie die meisten Londoner Museen umsonst zu besichtigen ist. Hier komme ich auch gleich zu einer weiteren Empfehlung: besucht das Museum of London, wenn auch nur ein Funken an historischem Interesse vorhanden ist, denn ihr werdet auf eine erstaunlich interaktive Weise durch die Geschichte der Stadt geführt. Wenn die Zeit reicht, werdet ihr das Museum nicht an einem einzigen Tag durchwandern - Erschöpfungsgefahr! Aber keine Sorge, das englische Wetter wird schon für mindestens zwei Regentage während eures Aufenthalts sorgen. 

Das Große Feuer von London - mehr dazu im Museum of London
Dieses Museum gibt euch wunderbare Anhaltspunkte. Beispielsweise sind in den meisten Londoner Ortsnamen historisch wichtige Punkte enthalten. Cheapside zwischen St Pauls und Royal Exchange war für eine lange Zeit ein riesiger Markt, wo man auch schon in früheren Zeiten internationale Waren erwerben konnte. Hält man sich an die Seitenstraßen, stößt man auf Wood Street, Milk Street, Bread Street und Poultry - gibt es einen besseren Hinweis darauf, was dort verkauft wurde?

Anhand der Ortsbezeichnungen kann man auch die ursprüngliche Größe der Stadt erahnen: Newgate, Aldgate, Bishopsgate etc. zeigen auf, wo sich Eingänge in der Stadtmauer befanden; Moorgate weist darauf hin, dass sich im Norden Londons ein großes Sumpfgebiet erstreckte, das erst nach und nach trockengelegt wurde. Ortsnamen die auf -ham oder -ton enden, erinnern an sächsische Befehlshaber (eine der vielen Eroberer Englands im Laufe der Zeit). An dieser Stelle sei darauf verwiesen, dass slavische Hauptmänner in der österreichischen Steiermark und in Kärnten ähnlich vorgingen (siehe Zeltweg, Fohnsdorf etc.; wie schön, dass unsere Geschichte die lang aufrechterhaltenen Behauptungen der FPK, dass Österreich immer schon deutsch war widerlegt, aber das nur am Rande.) 

England war immer schon ein attraktives Land - die Kelten, die Römer, die Sachsen, die Dänen, und die Normannen waren kluge Leute und eroberten es der Reihe nach. Die sprachlichen Spuren dieser Völker sind im Englischen bis heute erhalten. Denkt nur an die vielen Ähnlichkeiten zu den anderen germanischen Sprachen und Französisch - Englisch ist eine wahre Fundgrube für historische Tatsachen.

Tower of London
Wenden wir unseren Blick doch dem Tower zu, der eigentlich kein einzelner Turm ist, wie ich es mir immer ausgemalt habe, sondern eine richtige Festung. Errichtet durch William den Eroberer nach 1066, war er für lange Zeit der Sitz der Könige, wurde aber auch als Gefängnis für Verräter benutzt, wenn die Übeltäter auf die erlösende Axt warteten. Henry Tudors zweite Frau Anne Boleyn und der Theologe Thomas Moore (Utopia) sind nur zwei Beispiele für die unzähligen, oft unschuldigen Todesopfer. Kurz: ein Besuch ist trotz der großen Anzahl an Touristen empfehlenswert, da die Festung unglaublich gut erhalten ist (im Anschluss kann man dann über die schöne Tower Bridge spazieren (und beneidenswerte Fotos für Facebook machen). Weitere sehenswerte Paläste sind Hampton Court Palace oder Windsor Castle (allerdings außerhalb Londons), wo ihr ein bisschen in die königlich-aristokratische Welt Londons eintauchen könnt. Der Buckingham Palace ist zwar nett, aber leider überbewertet und wiederum ein Touristenmagnet.

Cutty Sark
Bis jetzt haben wir uns nördlich der Themse aufgehalten. Nehmt jetzt die Jubilee Line ins südöstliche Canada Water, wenn ihr sehen wollt, welch große Rolle die Themse in der Geschichte der Stadt gespielt hat. Die Anlegestellen (Docks) sind immer noch erhalten - so wurden die Waren von Russland in den Russia Dock geliefert, das kanadische Holz in den Canada Dock und so weiter. Man kann neben diesen Docks spazieren gehen, an der Themse entlang schlendern oder den ökologischen Park besuchen und sich danach mit einem köstlichen englischen Ale in einem der zahlreichen traditionellen Pubs stärken. Vergesst auch nicht, das alte Handelsschiff Cutty Sark in Greenwich zu besuchen - ein weiterer Hinweis, dass London schon vor unserer Zeit ein Zentrum des Welthandels war. 

Dennis Severs' House
Für einen letzten, aber unglaublich wertvollen historischen Tipp müssen wir wieder ins Stadtzentrum zurückkehren. Ganz in der Nähe der bekannten Station Liverpool Street befindet sich auf der Folgate Street das Dennis Severs' House. Ein (meiner Meinung nach) verrückter Amerikaner namens Dennis Severs kam in den 70er Jahren mit der Hoffnung nach England, dort die Welt der alten Kostümfilme vorzufinden. London war jedoch auf dem Weg, eine moderne Stadt zu werden. Enttäuscht kaufte Mr Severs ein Haus auf der Folgate Street und verwandelte das Innere in etwas, das seiner Vorstellung eines englischen Hauses des 18. Jahrhunderts entsprach. Er begann, Touristen durch dieses Haus zu führen und ihnen die Geschichte einer erfundenen Familie zu berichten, die angeblich in diesem Haus lebte. Im Laufe der Zeit wurde er immer schrulliger, denn er entfernte sich immer weiter von der Realität und lebte in seiner eigenen Welt. 17 Folgate Street ist nach seinem Tod immer noch zu besichtigen - es ist ein lebendiges Museum, das uns in eine (fiktive) Vergangenheit transportiert und möglicherweise unsere eigene Fantasie in einer gruseligen Weise anregt.
Für weitere Infos hier ein Link: http://www.dennissevershouse.co.uk/

Wenn diese Auswahl an Orten auch nur ein kleiner Einblick war, hoffe ich doch sehr, dass euer geschichtliches Interesse geweckt wurde. Es gibt noch so viel zu entdecken in dieser mysteriösen und steinalten Stadt, die mir immer mehr ans Herz zu wachsen scheint.





Thursday, 10 October 2013

English Drama At Its Finest


V

"Shock and disgust? My, my. I think I have to hear it now."


Ihr müsst verzeihen, dass der letzte Eintrag so tragisch ausgefallen ist. Die schweren Zeiten sind noch nicht ganz vorüber, aber die Wolken lichten sich bereits. Eigentlich wollte ich dieses Mal über Wien schreiben, aber das muss wohl noch warten - ich möchte nicht schon wieder Melancholie in den Mittelpunkt stellen. Allerdings will ich mich nicht ganz von der Tragik und dem Drama abwenden.

Mein Bericht betrifft dieses Mal etwas, das ich in sehr kurzer Zeit ins Herz geschlossen habe; mehr noch: ich bin regelrecht süchtig danach! Diese Sache scheint auf den ersten Blick sehr feminin, ist sie aber keineswegs. Jetzt aber heraus mit der Sprache!

Nun, ich beschäftige mich seit einer Woche intensivst mit der englischen Aristokratie. Vielleicht würden mir die Geschichtsstudenten unter euch stolz auf die Schulter klopfen und mir für mein Interesse in ein so verstricktes, verzweigtes und altes System gratulieren. Peinlich berührt müsste ich sie beschwichtigen und sie darauf hinweisen, dass ich meiner Leidenschaft nicht in einer angesehenen Bibliothek nachgegangen bin. Viel mehr befand ich mich zum Zeitpunkt der Recherche zu Hause vor dem Computer.
Ach was! würden sie sagen. Das Internet hat mittlerweile auch seine Vorteile für die Forschungsarbeit geleistet, es gibt sichere Quellen - suche einmal die Website der Universität so und so, oder hast du das Institut dies und das kontaktiert?

Zu diesem Zeitpunkt würden meine Wangen bereits in einem hübschen Rot glühen. Wahrscheinlich würde ich die Experten weiter schwafeln lassen und brav nicken, damit sie sich wichtig und gescheit fühlen. Wenn ich es schon jenen nicht erzähle, kann ich zumindest vor euch das Rätsel lösen. Die Rede ist von Downton Abbey, einer englischen TV Serie, die vom Leben einer aristokratischen Familie und deren Dienerschaft auf ihrem Landsitz am Beginn des 20. Jahrhundert handelt. Bevor ihr mich gleich verurteilt, lest doch bitte weiter.


Ich weiß. Es klingt unglaublich kitschig - was, werdet ihr mir ankreiden, ist denn so spannend am Leben von Aristokraten - bestand nicht ihr Lebensinhalt aus Teekränzchen, privaten Diskussionen unter Gentlemen, begleitet von einem netten Gläschen Whiskey, Dinnerparties und Jagden im Umland des Familiensitzes? Und womit können schon die Hausmädchen und Butler dieser Familie auftrumpfen, außer dem Abendessen und einem bis zur Perfektion geputzen Haus? Nun ja, das dachte ich auch zu Beginn. Bis mich die Screenwriter vom Gegenteil überzeugten.


Jede gute Serie muss ein Element der Sucht für das Publikum bereithalten. Ich persönlich bin nicht daran interessiert, in sich abgeschlossene Episoden anzusehen. Wenn ich nur an diese Miami Serie denke, stellt sich absolute Langeweile in meinem Gedächtnis ein. Was ich und Mit-Süchtige brauchen, sind folgende Zutaten: Kontinuität, Entwicklung, Drama.



Eines der zahlreichen, luxuriösen Dinner in Downton Abbey.
Lasst mich erklären: Eine Serie zieht uns in ihren Bann, wenn sie andauert, und das mindesten für ein paar Staffeln. Weiters wollen die Entwicklung der Charaktere sehen, den Fortschritt und die Interaktion der Figuren. All das wird jedoch nichts nützen, wenn die Produzenten keinen großzügigen Schuss an Drama einfließen lassen. Das betrifft alle Ereignisse, die im Laufe der Geschichte passieren, sei es Krankheit, Tod, Liebe, Sex, Hochzeit, Intrigen, Mord, Erbangelegenheiten oder Geldverlust. Natürlich sind im Repertoire der Drehbuchautoren noch viele weitere Zuckerl enthalten, die wir, die Zuseher, uns dankbar auf der Zunge zergehen lassen.
Die umwerfende Maggie Smith in ihrem Element.

Downton Abbey, das übrigens viele Auszeichnungen (auch für die Leistung der Schauspieler) gewonnen hat, vereint all diese Kriterien in sich, besser noch, es ist wie ein perfektes Soufflé, das man aus dem Ofen nimmt und langsam mit einem Teelöffel genießt. Die Voraussetzung ist, dass man es sich in der englischen Sprache zuführt. Der nordenglische Akzent der Dienerschaft mundet den Ohren ungemein, denn es ist so als ob wir einen Schweizer mit Akzent Deutsch reden hören. Hinzu kommt der astreine englische Akzent der Herrschaften - oh dear, und das vor allem, wenn Maggie Smith, eine Ikone des englischen Films, die konservative Mutter des Lords zum Besten gibt. Vielleicht kennt ihr sie noch als strenge Professor McGonagall in Harry Potter.

Lady Mary Crawley (Michelle Dockery).
Es sind nicht nur die Diener, die über die Angelegenheiten ihres Lords und der Ladies debattieren; auch die Hoheiten erfahren regelmäßig, was in den unteren Gefielden des Hauses vor sich geht. Damit nicht genug, säen die Autoren Intrigen, bissigen Humor und Hass unter den Akteuren beider Gesellschaftsschichten, die manchmal weit voneinander entfernt scheinen, aber im nächsten Augenblick doch wieder zeigen, dass sie beide gleich menschlich sind. Jede der Figuren ist zwar spezifisch und prägnant und wir schlagen uns schnell auf eine Seite, die uns mehr anspricht.

Ein weiterer wichtiger Suchtfaktor, den die Produzenten von Downton Abbey zu ihrem Glück entdeckt haben, ist der Faktor Zeit. Neben der Entwicklung der Charaktere haben wir diesmal nicht den Eindruck, als würden wir in einer Endlosschleife der Simpsons festhängen. Die Geschichte beginnt in der Post-Edwardian Zeit, nämlich im Jahre 1912, als die Titanic untergeht, und schreitet zügig voran ins neue Jahrhundert. Schon befinden wir uns in den Wirren des 1. Weltkriegs; bald haben die Roaring Twenties begonnen und ständig begleitet uns das Gefühl, dass die Zeit nicht stehen bleibt und Dinge sich ändern. Die erste Emanzipationsbewegung der Frauen ist eines dieser Themen. Die Geschichte spiegelt den Wandel wider; die ungeheure Dekadenz bleibt nicht bestehen und so sehr manche Mitglieder der Familie Crawley samt ihren Bediensteten auch an den Traditionen festhalten und sich gegen die neuen Tendenzen wehren, um so mehr wird bewusst, dass ein veraltetes Gesellschaftssystem an seine Grenzen stößt.

Es wird eine große Zahl an Charakteren geboten.
Ich will jetzt gar nicht mehr verraten. Urteilt selbst und wagt euch in das Anwesen mit seinen jahrhundertealten Räume, den engen Korridoren und den mehr oder weniger sympathischen Charakteren. Was ich durch Downton Abbey gewonnen habe? Nun, das müssen sich alle unter euch fragen, die Serien lieben. Es schenkt uns schöne Stunden der Ablenkung von unseren eigenen Dramen des Lebens.












Tuesday, 1 October 2013

My London Dream



IV

“I want God, I want poetry, I want danger, I want freedom, I want sin.” 

― Aldous HuxleyBrave New World


Warum immer die guten Seiten einer Reise hervorheben, wenn es viel authentischer ist, auch die Regentage, die stinkenden Fabriken, die mit Nebel verschleierten Hintergassen zu zeigen? Dieser Blog ist kein Konstrukt einer perfekten Welt, keine Utopie, sondern soll Illusionen nehmen.
Ich sitze im 1. Stock eines roten Doppeldeckerbusses, auf dem Weg zu Russel Square. London ist eine Metropole mit mehr als acht Millionen Einwohnern, was im österreichischen Maßstab bedeuten würde, dass sich alle Einwohner auf einem Fleck versammeln. Hinzu kommen jedoch noch die unzähligen Pendler, die von den Außenbezirken täglich in die Stadt strömen.
Könnt ihr euch auch nur im Ansatz die Ausmaße vorstellen? Diese schier endlose Schlange von Menschen, die sich am Morgen in die tube wälzt, an anderen Orten wieder aus den Ausgängen kriecht und die Straßen verstopft (dieses Wort ist keine Untertreibung). Sie rücken aber auch in Autos, den schwarzen cabs und den kirschroten Bussen an - und sorgen zwischen 7 und 9.30 am und 4 und 7.30 pm für ein unvergleichliches Chaos. Wohin sie gehen? Na, zur Arbeit. Denn Möglichkeiten gibt es hier jede Menge.

Die Stadt der opportunities - das ist London wahrhaftig. Nicht umsonst sind hier Vertreter aller Nationen versammelt, die ihr Glück versuchen wollen. Es wirkt fast so, als ob ich im New York City des 19. Jahrhunderts gelandet wäre. In den Gesichtern der Menschen steht geschrieben: We Are Living The London Dream.

Man beobachtet Businessladies in exquisiten ledernen High Heels, enganliegenden Röcken, mit zusammengezogenen, perfekt gezupften Augenbrauen, das obligatorische Handtäschchen umklammernd, über die Straße tänzeln; man stößt auf unzählige take out Restaurants und Shops mit Besitzern unterschiedlichster Herkunft, die ihre Waren den Vorübereilenden mehr oder weniger stolz anpreisen. Man durchstreift Märkte mit duftenden und exotischen Speisen; die feinen interior Läden mit dem schönsten und unnötigsten Dekozeug, das man aber doch irgendwie notwendig hat; und man würde sich gerne in die überteuerten organic food Cafés und Bars in den gewundenen Gassen in Soho niederlassen. Sie alle haben es geschafft - oder?

Die Frage ist nur, ob man auch seine eigenen Möglichkeiten findet und beim Schopf packen kann? Man will einfach kein Tourist in dieser Stadt sein, sondern ein Teil dieser arbeitenden, erfolgreichen Masse werden. Den London Dream leben.
Seit ich hier bin, habe ich in den Tiefen des Internets gegraben und nach Arbeit gesucht. Alles läuft hier über Recruiting Agencies, die zwischen Jobsuchenden und Arbeitgeber vermitteln. Sie picken die erfolgreichen Bewerber heraus und greifen ihnen unter die Arme. Daraufhin wartet man, ob man ein Interview bei der Firma bekommt. Dieser Prozess erstreckt sich jedoch über Wochen, sodass man als Bewerber ziemlich mutlos werden kann. Ich weiß, dass Menschen manchmal über Monate und Jahre hinweg arbeitslos sind. Sie suchen und suchen verzweifelt und werden einfach nicht fündig oder werden wieder und wieder abgelehnt. In meinem ganzen Leben hatte ich noch keine so ermüdende und frustrierende Aufgabe wie jener, nach Arbeit zu suchen. Es fühlt sich an wie ein Borkenkäfer, der meine Energie Stück für Stück auffrisst.

Natürlich sagt ihr, nimm doch einfach irgendeinen Job bei McDonalds an, worauf wartest du, es geht ja ums Überleben, ums Geld, oder nicht? Nein. Es geht mir um mehr. Ich möchte nach diesem Jahr sagen können, dass ich mich weiterentwickelt habe. Ich möchte die Erfahrung auskosten und zeigen, was in mir steckt. Verantwortung übernehmen. Stolz sein auf das, was ich mache.

Ist es nicht seltsam, wonach wir Menschen streben? Nachdem wir unsere niedersten Bedürfnisse gestillt haben, brauchen wir Sicherheiten, möchten wir eine soziale und berufliche Balance, wollen wir unterhalten werden, und schließlich, wenn all das nicht mehr ausreicht, bilden wir uns ein, dass wir uns selbst erfüllen müssen, um das ultimative Glück zu erreichen. Warum können wir nicht sein wie die Alphas, Betas, Gammas und Deltas in Brave New World, die einfach stur vor sich hin arbeiten? Wir nehmen Dinge viel zu ernst und alles muss einen Sinn haben. Wir sind einfach viel zu menschlich.

Meine Welt steht im Moment still wie die roten Busse im Kreisverkehr von St George's Circus. Ich habe das Bedürfnis, zum Busfahrer zu gehen und kräftig auf das Gaspedal zu treten, um auf die nächste, freie Straße zu gelangen. Eine lange Schlange von Menschen versperrt mir den Weg, und sie lassen mich um keinen Preis vorbei. Warten wird zur Norm und gleichzeitig zur Qual.
Mein London Dream, wo hast du dich versteckt?



Wednesday, 11 September 2013

Apologies for any inconvenience



III

"The citizens of London excell those of any other city in the world in handsomeness of manners and of dress, at table, and in way of speaking."

William Fitzstephen in "Descriptio Nobilissimi Civitatis Londoniae"



Man möge mir ankreiden, dass ich in meinem Blog zu viel mit Vorurteilen spiele. Eine Unart! schreien jene, die politische Korrektheit als oberste Weisung auserkoren haben. Respektlos! schütteln jene die Köpfe, die sich anstrengen, jede noch so winzige Lächerlichkeit auszubügeln.
Wer mich jedoch kennt weiß, dass ich normalerweise versuche, Stereotypen auszuklammern, wenn ich jemanden kennen lerne. Ich mag Currys und Eintöpfe, aber nicht, wenn es sich dabei um Menschen handelt. Allerdings bin ich der Meinung, dass manche Vorurteile einen gewissen Charme haben. Man muss sie nicht belächeln, sondern lächelt darüber, dass sie wirklich existieren und ein Teil der Kultur sind.
Solchen wunderbaren Eigenheiten bin ich hier auf der Insel bereits begegnet und meine liebste heißt politeness (Höflichkeit). Aber lasst mich erklären.

Die Engländer haben das Wort customer service praktisch erfunden. Das deutsche Kundenbetreuung spiegelt nicht im geringsten die Bedeutung wider, welche man dem Wort hierzulande beimisst. Abgeleitet vom lateinischen servire (dienen), geben uns die Inselbewohner zu verstehen, dass der Ausüber dieser Tätigkeit ein Diener der Kunden ist. Und dieses Versprechen nehmen sie ausnahmslos todernst. Es scheint fast, als ob jeder fürchtet, eine Verletzung dieses Brauchtums habe zur Folge, dass sich eine Spalte im Boden auftut und der Verbrecher kreischend in die Hölle hinabfährt.
Höflichkeit und Freundlichkeit innerhalb eines Berufes sollten doch normalerweise selbstverständlich sein, oder nicht? Eine Reise über den Globus zeigt, dass dem überhaupt nicht so ist. Ich würde gerne eine Höflichkeitsskala für die bereisten Länder erstellen, mit 0 als das absolut abscheulichste Verhalten Mitmenschen gegenüber und 10 als ein Irrenhaus voller sich unterwerfender Ja-Sager.

Ich persönlich würde Österreich auf eine satte 7 setzen - immer noch deutlich über dem Durchschnitt, jedoch mit einem kühlen Hauch einer nord- bzw. osteuropäischen Distanz. Wien scheint unser Land leicht nach unten zu drücken, wenn ich an die angeblich "bei Touristen beliebte" ungute Art der alten Wiener Kaffeehauskellner denke. Ich muss aber nicht einmal so weit gehen - es reicht schon, die Wohnungstür aufzumachen, um vom Stiegenhaus aufwaschenden Hauswart angeschnauzt zu werden, dass man "den Boden vor der Tür beschmutzt" habe und dieser jetzt (für diese Tätigkeit bezahlt) den Dreck wegwischen muss. Hach, wenn ich nur an die wunderbaren Besuche im Supermarkt Spar denke, wird mir warm ums Herz! Besonders dann, wenn eine "freundliche" Verkäuferin an der Kasse stand und mit heruntergezogenen Mundecken ihre Laune netterweise umsonst an die Kunden verschenkte (die Gratis-Plastiksackerl hingegen wollte sie komischerweise nicht hergeben).

Somit komme ich wieder zurück zum englischen counterpart. Man schiebe die Skala um zwei Punkte hinauf auf 8,5 und hat somit eine der freundlichsten Nationen der Welt. Betrachtet etwa das folgende Schild, das ich in einer Toilette in einem shopping centre fotografiert habe. Sticht etwas heraus?

Entschuldigen Sie bitte für die Unanehmlichkeiten.
Ein neuer Handtrockner wird in Kürze installiert. Vielen Dank.

Wie bitte? Diese Wortwahl ist mir unbekannt. Entschuldigen Sie bitte? In einem österreichischen Kaufhaus wäre höchstwahrscheinlich nicht einmal ein Schild angebracht. Falls doch, würde es ein trockenes Außer Betrieb zieren.
Ich möchte ein weiteres Beispiel bringen. Heute morgen bin ich zum Bus gelaufen. Unglücklicherweise muss ich zuerst eine stark befahrene Straße überqueren, um auf die Bushaltestelle zu gelangen. Ich sah den Bus schon kommen und einfahren, musste allerdings noch warten, dass die entgegenkommenden Autos vorbei gefahren waren. Ich war mir 100%-ig sicher, dass der Bus abfahren würde, als ich keuchend vor der Tür zu stehen kam und mit großen Augen den Busfahrer anflehte. Wiener kennen diese Situation nur zu gut - man sprintet hunderte von Metern, um die Bim oder den Bus zu erwischen. Als man erleichtert auf den leuchtend grünen Knopf hämmert, erlöscht das Licht und das Transportmittel tuckert davon. Man bemerkt den hämischen Blick des Fahrers (oder der Fahrerin - Frauen können genauso boshaft sein!) im Seitenspiegel und ärgert sich Grün und Blau (die Farben sind in Großbuchstaben, weil es sich einfach so ungerecht anfühlt).
Ihr möchtet wohl wissen, wie es mir ergangen ist? Wie gesagt, ich starrte den Busfahrer an, der bereits den Gang eingelegt hatte, um weiter zu fahren. Und da geschah das Wunder: mein Held hielt den Bus an und öffnete freundlich lächelnd die Türen.

Das nenne ich customer service ohne Ende. Kunden werden hier ernst genommen und nicht mit einem strafenden Blick oder einem Murren abgewürgt, wenn man es wagen sollte, eine Frage zu stellen. Was passiert, wenn ein Produkt nicht erhältlich ist? Nun, man wird mit dem ehrlichsten aller sorries bedacht, erhält Alternativangebote und hat die Enttäuschung schon wieder vergessen, wenn man das Geschäft verlässt.

Wenn man einmal vom customer service absieht, wie ist Freundlichkeit in diesem Land zu bewerten? In der Einleitung zu meinem Beitrag findet sich eine kleine Anekdote von Fitzstephen, der die Londoner und ihre Gebräuche im 12. Jahrhundert beschrieb. Er meint, dass "die Bürger jene anderer Städte der Welt in einer Ansehnlichkeit der Manieren, der Kleidung, am Tisch und in der Art zu sprechen übertreffen". Es sind acht Jahrhunderte vergangen und diese Beschreibung hat ihre Präzision um keinen Deut eingebüßt.
Menschen hier helfen sich gegenseitig, obwohl sie Bewohner einer riesigen Stadt sind und die Anonymität sie nicht dazu verpflichtet. Mit dieser freundlichen Art ist auch eine wunderbare Offenheit verbunden, die einem das Gefühl gibt, angenommen zu werden. Wildfremde Menschen sprechen miteinander, trinken ein Bier und tauschen Erfahrungen aus.
 Es ist nicht möglich festzulegen, was diese Kultur in London ausmacht, weil es keine Kultur im ursprünglichen Sinne ist. Vielleicht führt dieser Schmelztiegel aus Nationen zu einer größeren Akzeptanz anderen gegenüber - nach dem Motto: keiner von uns ist von hier aber jeder soll die gleichen Chancen haben und gleich behandelt werden. 

Was für ein Fortschritt!
London - ich bin begeistert.