Wednesday 11 September 2013

Apologies for any inconvenience



III

"The citizens of London excell those of any other city in the world in handsomeness of manners and of dress, at table, and in way of speaking."

William Fitzstephen in "Descriptio Nobilissimi Civitatis Londoniae"



Man möge mir ankreiden, dass ich in meinem Blog zu viel mit Vorurteilen spiele. Eine Unart! schreien jene, die politische Korrektheit als oberste Weisung auserkoren haben. Respektlos! schütteln jene die Köpfe, die sich anstrengen, jede noch so winzige Lächerlichkeit auszubügeln.
Wer mich jedoch kennt weiß, dass ich normalerweise versuche, Stereotypen auszuklammern, wenn ich jemanden kennen lerne. Ich mag Currys und Eintöpfe, aber nicht, wenn es sich dabei um Menschen handelt. Allerdings bin ich der Meinung, dass manche Vorurteile einen gewissen Charme haben. Man muss sie nicht belächeln, sondern lächelt darüber, dass sie wirklich existieren und ein Teil der Kultur sind.
Solchen wunderbaren Eigenheiten bin ich hier auf der Insel bereits begegnet und meine liebste heißt politeness (Höflichkeit). Aber lasst mich erklären.

Die Engländer haben das Wort customer service praktisch erfunden. Das deutsche Kundenbetreuung spiegelt nicht im geringsten die Bedeutung wider, welche man dem Wort hierzulande beimisst. Abgeleitet vom lateinischen servire (dienen), geben uns die Inselbewohner zu verstehen, dass der Ausüber dieser Tätigkeit ein Diener der Kunden ist. Und dieses Versprechen nehmen sie ausnahmslos todernst. Es scheint fast, als ob jeder fürchtet, eine Verletzung dieses Brauchtums habe zur Folge, dass sich eine Spalte im Boden auftut und der Verbrecher kreischend in die Hölle hinabfährt.
Höflichkeit und Freundlichkeit innerhalb eines Berufes sollten doch normalerweise selbstverständlich sein, oder nicht? Eine Reise über den Globus zeigt, dass dem überhaupt nicht so ist. Ich würde gerne eine Höflichkeitsskala für die bereisten Länder erstellen, mit 0 als das absolut abscheulichste Verhalten Mitmenschen gegenüber und 10 als ein Irrenhaus voller sich unterwerfender Ja-Sager.

Ich persönlich würde Österreich auf eine satte 7 setzen - immer noch deutlich über dem Durchschnitt, jedoch mit einem kühlen Hauch einer nord- bzw. osteuropäischen Distanz. Wien scheint unser Land leicht nach unten zu drücken, wenn ich an die angeblich "bei Touristen beliebte" ungute Art der alten Wiener Kaffeehauskellner denke. Ich muss aber nicht einmal so weit gehen - es reicht schon, die Wohnungstür aufzumachen, um vom Stiegenhaus aufwaschenden Hauswart angeschnauzt zu werden, dass man "den Boden vor der Tür beschmutzt" habe und dieser jetzt (für diese Tätigkeit bezahlt) den Dreck wegwischen muss. Hach, wenn ich nur an die wunderbaren Besuche im Supermarkt Spar denke, wird mir warm ums Herz! Besonders dann, wenn eine "freundliche" Verkäuferin an der Kasse stand und mit heruntergezogenen Mundecken ihre Laune netterweise umsonst an die Kunden verschenkte (die Gratis-Plastiksackerl hingegen wollte sie komischerweise nicht hergeben).

Somit komme ich wieder zurück zum englischen counterpart. Man schiebe die Skala um zwei Punkte hinauf auf 8,5 und hat somit eine der freundlichsten Nationen der Welt. Betrachtet etwa das folgende Schild, das ich in einer Toilette in einem shopping centre fotografiert habe. Sticht etwas heraus?

Entschuldigen Sie bitte für die Unanehmlichkeiten.
Ein neuer Handtrockner wird in Kürze installiert. Vielen Dank.

Wie bitte? Diese Wortwahl ist mir unbekannt. Entschuldigen Sie bitte? In einem österreichischen Kaufhaus wäre höchstwahrscheinlich nicht einmal ein Schild angebracht. Falls doch, würde es ein trockenes Außer Betrieb zieren.
Ich möchte ein weiteres Beispiel bringen. Heute morgen bin ich zum Bus gelaufen. Unglücklicherweise muss ich zuerst eine stark befahrene Straße überqueren, um auf die Bushaltestelle zu gelangen. Ich sah den Bus schon kommen und einfahren, musste allerdings noch warten, dass die entgegenkommenden Autos vorbei gefahren waren. Ich war mir 100%-ig sicher, dass der Bus abfahren würde, als ich keuchend vor der Tür zu stehen kam und mit großen Augen den Busfahrer anflehte. Wiener kennen diese Situation nur zu gut - man sprintet hunderte von Metern, um die Bim oder den Bus zu erwischen. Als man erleichtert auf den leuchtend grünen Knopf hämmert, erlöscht das Licht und das Transportmittel tuckert davon. Man bemerkt den hämischen Blick des Fahrers (oder der Fahrerin - Frauen können genauso boshaft sein!) im Seitenspiegel und ärgert sich Grün und Blau (die Farben sind in Großbuchstaben, weil es sich einfach so ungerecht anfühlt).
Ihr möchtet wohl wissen, wie es mir ergangen ist? Wie gesagt, ich starrte den Busfahrer an, der bereits den Gang eingelegt hatte, um weiter zu fahren. Und da geschah das Wunder: mein Held hielt den Bus an und öffnete freundlich lächelnd die Türen.

Das nenne ich customer service ohne Ende. Kunden werden hier ernst genommen und nicht mit einem strafenden Blick oder einem Murren abgewürgt, wenn man es wagen sollte, eine Frage zu stellen. Was passiert, wenn ein Produkt nicht erhältlich ist? Nun, man wird mit dem ehrlichsten aller sorries bedacht, erhält Alternativangebote und hat die Enttäuschung schon wieder vergessen, wenn man das Geschäft verlässt.

Wenn man einmal vom customer service absieht, wie ist Freundlichkeit in diesem Land zu bewerten? In der Einleitung zu meinem Beitrag findet sich eine kleine Anekdote von Fitzstephen, der die Londoner und ihre Gebräuche im 12. Jahrhundert beschrieb. Er meint, dass "die Bürger jene anderer Städte der Welt in einer Ansehnlichkeit der Manieren, der Kleidung, am Tisch und in der Art zu sprechen übertreffen". Es sind acht Jahrhunderte vergangen und diese Beschreibung hat ihre Präzision um keinen Deut eingebüßt.
Menschen hier helfen sich gegenseitig, obwohl sie Bewohner einer riesigen Stadt sind und die Anonymität sie nicht dazu verpflichtet. Mit dieser freundlichen Art ist auch eine wunderbare Offenheit verbunden, die einem das Gefühl gibt, angenommen zu werden. Wildfremde Menschen sprechen miteinander, trinken ein Bier und tauschen Erfahrungen aus.
 Es ist nicht möglich festzulegen, was diese Kultur in London ausmacht, weil es keine Kultur im ursprünglichen Sinne ist. Vielleicht führt dieser Schmelztiegel aus Nationen zu einer größeren Akzeptanz anderen gegenüber - nach dem Motto: keiner von uns ist von hier aber jeder soll die gleichen Chancen haben und gleich behandelt werden. 

Was für ein Fortschritt!
London - ich bin begeistert.