Saturday 12 October 2013

O Thee Old London

VI

"It is not the walls that make the city, but the people who live within them. The walls of London may be battered, but the spirit of the Londoner stands resolute and undismayed."
- George VI



Ihr wartet sicher schon auf ein paar Geheimtips, was ihr in London alles anstellen könnt. Noch ein Grund für mich, euch damit zu versorgen, damit ich möglichst bald wieder Besuch von Zuhause kriege. Da es endlich mit einem Job geklappt hat, muss ich mich beeilen, sonst habe ich bald keine Zeit mehr für meinen Blog. Frisch motiviert nehme ich also mein kleines Büchlein aus der Tasche und versorge euch exklusiv mit meinen gekritzelten, eingekreisten und gelb und rosa angestrichenen Erfahrungen über die wunderbare Stadt. (Unglaublich, wie schnell sich das Verhältnis zu einem Ort ändern kann, wenn man berufliche Erfolge feiert.)

Wo beginnt man denn am besten - an welchen Ecken und Enden? Eines muss gesagt werden: das hier ist kein Leitfaden durch die touristisch verstopften Straßen Londons, sondern viel mehr bunte Lesezeichen zu interessanten und sehenswerten Örtchen off the beaten tourist track. Für die Houses of Parliament, London Eye und Madam Tussaud's könnt ihr auch Lonely Planet konsultieren. Manche unter euch werden eine historisch orientierte Besichtigung schätzen, also werde ich damit beginnen. 

Guildhall Art Gallery
London existierte bereits, bevor die gierigen Römer über die britische Insel herfielen. Von den römischen Bauten ist logischerweise nicht mehr viel erhalten, nur mehr ein Stück der alten Stadtmauer und die Überreste des Amphitheaters von Londinium. Man kann letzteres im Untergeschoß der Guildhall Art Gallery bestaunen, das übrigens wie die meisten Londoner Museen umsonst zu besichtigen ist. Hier komme ich auch gleich zu einer weiteren Empfehlung: besucht das Museum of London, wenn auch nur ein Funken an historischem Interesse vorhanden ist, denn ihr werdet auf eine erstaunlich interaktive Weise durch die Geschichte der Stadt geführt. Wenn die Zeit reicht, werdet ihr das Museum nicht an einem einzigen Tag durchwandern - Erschöpfungsgefahr! Aber keine Sorge, das englische Wetter wird schon für mindestens zwei Regentage während eures Aufenthalts sorgen. 

Das Große Feuer von London - mehr dazu im Museum of London
Dieses Museum gibt euch wunderbare Anhaltspunkte. Beispielsweise sind in den meisten Londoner Ortsnamen historisch wichtige Punkte enthalten. Cheapside zwischen St Pauls und Royal Exchange war für eine lange Zeit ein riesiger Markt, wo man auch schon in früheren Zeiten internationale Waren erwerben konnte. Hält man sich an die Seitenstraßen, stößt man auf Wood Street, Milk Street, Bread Street und Poultry - gibt es einen besseren Hinweis darauf, was dort verkauft wurde?

Anhand der Ortsbezeichnungen kann man auch die ursprüngliche Größe der Stadt erahnen: Newgate, Aldgate, Bishopsgate etc. zeigen auf, wo sich Eingänge in der Stadtmauer befanden; Moorgate weist darauf hin, dass sich im Norden Londons ein großes Sumpfgebiet erstreckte, das erst nach und nach trockengelegt wurde. Ortsnamen die auf -ham oder -ton enden, erinnern an sächsische Befehlshaber (eine der vielen Eroberer Englands im Laufe der Zeit). An dieser Stelle sei darauf verwiesen, dass slavische Hauptmänner in der österreichischen Steiermark und in Kärnten ähnlich vorgingen (siehe Zeltweg, Fohnsdorf etc.; wie schön, dass unsere Geschichte die lang aufrechterhaltenen Behauptungen der FPK, dass Österreich immer schon deutsch war widerlegt, aber das nur am Rande.) 

England war immer schon ein attraktives Land - die Kelten, die Römer, die Sachsen, die Dänen, und die Normannen waren kluge Leute und eroberten es der Reihe nach. Die sprachlichen Spuren dieser Völker sind im Englischen bis heute erhalten. Denkt nur an die vielen Ähnlichkeiten zu den anderen germanischen Sprachen und Französisch - Englisch ist eine wahre Fundgrube für historische Tatsachen.

Tower of London
Wenden wir unseren Blick doch dem Tower zu, der eigentlich kein einzelner Turm ist, wie ich es mir immer ausgemalt habe, sondern eine richtige Festung. Errichtet durch William den Eroberer nach 1066, war er für lange Zeit der Sitz der Könige, wurde aber auch als Gefängnis für Verräter benutzt, wenn die Übeltäter auf die erlösende Axt warteten. Henry Tudors zweite Frau Anne Boleyn und der Theologe Thomas Moore (Utopia) sind nur zwei Beispiele für die unzähligen, oft unschuldigen Todesopfer. Kurz: ein Besuch ist trotz der großen Anzahl an Touristen empfehlenswert, da die Festung unglaublich gut erhalten ist (im Anschluss kann man dann über die schöne Tower Bridge spazieren (und beneidenswerte Fotos für Facebook machen). Weitere sehenswerte Paläste sind Hampton Court Palace oder Windsor Castle (allerdings außerhalb Londons), wo ihr ein bisschen in die königlich-aristokratische Welt Londons eintauchen könnt. Der Buckingham Palace ist zwar nett, aber leider überbewertet und wiederum ein Touristenmagnet.

Cutty Sark
Bis jetzt haben wir uns nördlich der Themse aufgehalten. Nehmt jetzt die Jubilee Line ins südöstliche Canada Water, wenn ihr sehen wollt, welch große Rolle die Themse in der Geschichte der Stadt gespielt hat. Die Anlegestellen (Docks) sind immer noch erhalten - so wurden die Waren von Russland in den Russia Dock geliefert, das kanadische Holz in den Canada Dock und so weiter. Man kann neben diesen Docks spazieren gehen, an der Themse entlang schlendern oder den ökologischen Park besuchen und sich danach mit einem köstlichen englischen Ale in einem der zahlreichen traditionellen Pubs stärken. Vergesst auch nicht, das alte Handelsschiff Cutty Sark in Greenwich zu besuchen - ein weiterer Hinweis, dass London schon vor unserer Zeit ein Zentrum des Welthandels war. 

Dennis Severs' House
Für einen letzten, aber unglaublich wertvollen historischen Tipp müssen wir wieder ins Stadtzentrum zurückkehren. Ganz in der Nähe der bekannten Station Liverpool Street befindet sich auf der Folgate Street das Dennis Severs' House. Ein (meiner Meinung nach) verrückter Amerikaner namens Dennis Severs kam in den 70er Jahren mit der Hoffnung nach England, dort die Welt der alten Kostümfilme vorzufinden. London war jedoch auf dem Weg, eine moderne Stadt zu werden. Enttäuscht kaufte Mr Severs ein Haus auf der Folgate Street und verwandelte das Innere in etwas, das seiner Vorstellung eines englischen Hauses des 18. Jahrhunderts entsprach. Er begann, Touristen durch dieses Haus zu führen und ihnen die Geschichte einer erfundenen Familie zu berichten, die angeblich in diesem Haus lebte. Im Laufe der Zeit wurde er immer schrulliger, denn er entfernte sich immer weiter von der Realität und lebte in seiner eigenen Welt. 17 Folgate Street ist nach seinem Tod immer noch zu besichtigen - es ist ein lebendiges Museum, das uns in eine (fiktive) Vergangenheit transportiert und möglicherweise unsere eigene Fantasie in einer gruseligen Weise anregt.
Für weitere Infos hier ein Link: http://www.dennissevershouse.co.uk/

Wenn diese Auswahl an Orten auch nur ein kleiner Einblick war, hoffe ich doch sehr, dass euer geschichtliches Interesse geweckt wurde. Es gibt noch so viel zu entdecken in dieser mysteriösen und steinalten Stadt, die mir immer mehr ans Herz zu wachsen scheint.





Thursday 10 October 2013

English Drama At Its Finest


V

"Shock and disgust? My, my. I think I have to hear it now."


Ihr müsst verzeihen, dass der letzte Eintrag so tragisch ausgefallen ist. Die schweren Zeiten sind noch nicht ganz vorüber, aber die Wolken lichten sich bereits. Eigentlich wollte ich dieses Mal über Wien schreiben, aber das muss wohl noch warten - ich möchte nicht schon wieder Melancholie in den Mittelpunkt stellen. Allerdings will ich mich nicht ganz von der Tragik und dem Drama abwenden.

Mein Bericht betrifft dieses Mal etwas, das ich in sehr kurzer Zeit ins Herz geschlossen habe; mehr noch: ich bin regelrecht süchtig danach! Diese Sache scheint auf den ersten Blick sehr feminin, ist sie aber keineswegs. Jetzt aber heraus mit der Sprache!

Nun, ich beschäftige mich seit einer Woche intensivst mit der englischen Aristokratie. Vielleicht würden mir die Geschichtsstudenten unter euch stolz auf die Schulter klopfen und mir für mein Interesse in ein so verstricktes, verzweigtes und altes System gratulieren. Peinlich berührt müsste ich sie beschwichtigen und sie darauf hinweisen, dass ich meiner Leidenschaft nicht in einer angesehenen Bibliothek nachgegangen bin. Viel mehr befand ich mich zum Zeitpunkt der Recherche zu Hause vor dem Computer.
Ach was! würden sie sagen. Das Internet hat mittlerweile auch seine Vorteile für die Forschungsarbeit geleistet, es gibt sichere Quellen - suche einmal die Website der Universität so und so, oder hast du das Institut dies und das kontaktiert?

Zu diesem Zeitpunkt würden meine Wangen bereits in einem hübschen Rot glühen. Wahrscheinlich würde ich die Experten weiter schwafeln lassen und brav nicken, damit sie sich wichtig und gescheit fühlen. Wenn ich es schon jenen nicht erzähle, kann ich zumindest vor euch das Rätsel lösen. Die Rede ist von Downton Abbey, einer englischen TV Serie, die vom Leben einer aristokratischen Familie und deren Dienerschaft auf ihrem Landsitz am Beginn des 20. Jahrhundert handelt. Bevor ihr mich gleich verurteilt, lest doch bitte weiter.


Ich weiß. Es klingt unglaublich kitschig - was, werdet ihr mir ankreiden, ist denn so spannend am Leben von Aristokraten - bestand nicht ihr Lebensinhalt aus Teekränzchen, privaten Diskussionen unter Gentlemen, begleitet von einem netten Gläschen Whiskey, Dinnerparties und Jagden im Umland des Familiensitzes? Und womit können schon die Hausmädchen und Butler dieser Familie auftrumpfen, außer dem Abendessen und einem bis zur Perfektion geputzen Haus? Nun ja, das dachte ich auch zu Beginn. Bis mich die Screenwriter vom Gegenteil überzeugten.


Jede gute Serie muss ein Element der Sucht für das Publikum bereithalten. Ich persönlich bin nicht daran interessiert, in sich abgeschlossene Episoden anzusehen. Wenn ich nur an diese Miami Serie denke, stellt sich absolute Langeweile in meinem Gedächtnis ein. Was ich und Mit-Süchtige brauchen, sind folgende Zutaten: Kontinuität, Entwicklung, Drama.



Eines der zahlreichen, luxuriösen Dinner in Downton Abbey.
Lasst mich erklären: Eine Serie zieht uns in ihren Bann, wenn sie andauert, und das mindesten für ein paar Staffeln. Weiters wollen die Entwicklung der Charaktere sehen, den Fortschritt und die Interaktion der Figuren. All das wird jedoch nichts nützen, wenn die Produzenten keinen großzügigen Schuss an Drama einfließen lassen. Das betrifft alle Ereignisse, die im Laufe der Geschichte passieren, sei es Krankheit, Tod, Liebe, Sex, Hochzeit, Intrigen, Mord, Erbangelegenheiten oder Geldverlust. Natürlich sind im Repertoire der Drehbuchautoren noch viele weitere Zuckerl enthalten, die wir, die Zuseher, uns dankbar auf der Zunge zergehen lassen.
Die umwerfende Maggie Smith in ihrem Element.

Downton Abbey, das übrigens viele Auszeichnungen (auch für die Leistung der Schauspieler) gewonnen hat, vereint all diese Kriterien in sich, besser noch, es ist wie ein perfektes Soufflé, das man aus dem Ofen nimmt und langsam mit einem Teelöffel genießt. Die Voraussetzung ist, dass man es sich in der englischen Sprache zuführt. Der nordenglische Akzent der Dienerschaft mundet den Ohren ungemein, denn es ist so als ob wir einen Schweizer mit Akzent Deutsch reden hören. Hinzu kommt der astreine englische Akzent der Herrschaften - oh dear, und das vor allem, wenn Maggie Smith, eine Ikone des englischen Films, die konservative Mutter des Lords zum Besten gibt. Vielleicht kennt ihr sie noch als strenge Professor McGonagall in Harry Potter.

Lady Mary Crawley (Michelle Dockery).
Es sind nicht nur die Diener, die über die Angelegenheiten ihres Lords und der Ladies debattieren; auch die Hoheiten erfahren regelmäßig, was in den unteren Gefielden des Hauses vor sich geht. Damit nicht genug, säen die Autoren Intrigen, bissigen Humor und Hass unter den Akteuren beider Gesellschaftsschichten, die manchmal weit voneinander entfernt scheinen, aber im nächsten Augenblick doch wieder zeigen, dass sie beide gleich menschlich sind. Jede der Figuren ist zwar spezifisch und prägnant und wir schlagen uns schnell auf eine Seite, die uns mehr anspricht.

Ein weiterer wichtiger Suchtfaktor, den die Produzenten von Downton Abbey zu ihrem Glück entdeckt haben, ist der Faktor Zeit. Neben der Entwicklung der Charaktere haben wir diesmal nicht den Eindruck, als würden wir in einer Endlosschleife der Simpsons festhängen. Die Geschichte beginnt in der Post-Edwardian Zeit, nämlich im Jahre 1912, als die Titanic untergeht, und schreitet zügig voran ins neue Jahrhundert. Schon befinden wir uns in den Wirren des 1. Weltkriegs; bald haben die Roaring Twenties begonnen und ständig begleitet uns das Gefühl, dass die Zeit nicht stehen bleibt und Dinge sich ändern. Die erste Emanzipationsbewegung der Frauen ist eines dieser Themen. Die Geschichte spiegelt den Wandel wider; die ungeheure Dekadenz bleibt nicht bestehen und so sehr manche Mitglieder der Familie Crawley samt ihren Bediensteten auch an den Traditionen festhalten und sich gegen die neuen Tendenzen wehren, um so mehr wird bewusst, dass ein veraltetes Gesellschaftssystem an seine Grenzen stößt.

Es wird eine große Zahl an Charakteren geboten.
Ich will jetzt gar nicht mehr verraten. Urteilt selbst und wagt euch in das Anwesen mit seinen jahrhundertealten Räume, den engen Korridoren und den mehr oder weniger sympathischen Charakteren. Was ich durch Downton Abbey gewonnen habe? Nun, das müssen sich alle unter euch fragen, die Serien lieben. Es schenkt uns schöne Stunden der Ablenkung von unseren eigenen Dramen des Lebens.