Sunday 19 January 2014

No Day is like Sunday


IX

“The greatest compliment that was ever paid me was when one asked me what I thought, 
and attended to my answer.” 
- Henry David Thoreau





Dieser Sonntag ist der erste Sonntag, den ich richtig genießen kann. Nicht in meinem Kämmerchen, sondern draußen im echten unechten London, im schnuckeligen breakfast club oder beim Spaziergang durch hackney farm und einen von Menschen überfluteten Blumenmarkt im besonders großspurigen Teil der Stadt.

In einem weiteren Café (paper & cup) kann ich endlich meinem Schreibdrang freien Lauf lassen; abseits von klammen Fingern und langweiligen weißen Wänden ohne Inspiration; hingegen voll vom Rattern der Kaffeemaschinen, dem angenehmen Gemurmel der anderen Gäste, der plätschernden Indie Musik im Hintergrund und den Glasfenstern. Ich liebe den Platz am Fenster, weil ich so das Leben auf Straße zu mir herein holen kann. Die Sonne hat sich vorübergehend auf der weißen Kuppel der Kirche an der Shoreditch High Street niedergelassen; wie ein Kätzchen, das nur kurz an einem Ort verweilt, sich über den warmen Asphalt wälzt, um dann gelangweilt weiter zu stolzieren.

Warum dieser Sonntag anders ist als die bisherigen, liegt vor allem an der Tatsache, dass ich mich bisher viel zu abhängig gemacht habe. Solange man nur von Menschen umgeben ist, ist man kein Teil dieser Stadt. Man fühlt sich wie ein outcast, obwohl beinahe niemand wirklich hier geboren ist. Sobald die Menschen jedoch einen selbst umgeben, vermag man, das Lebensgefühl zu inhalieren.

Es kommt ja auch sonst kaum vor, dass man sofort seinen besten Freund kennen lernt. Sogar im Kindergarten gibt es die Regel, dass man zumindest einmal miteinander einen Turm bauen und ihn einstürzen lassen muss, um sich als Freunde klassifizieren zu können.

Als Studentin wusste ich gar nicht, wie glücklich ich mich schätzen konnte. Jemanden kennen zu lernen kann in einer einzigen Stunde passieren; man trifft sich in Cafés, um Arbeiten zu schreiben, um zu diskutieren und kommt sogleich auf Persönliches zu sprechen. Und schon ist ein weiterer Turm eingestürzt. Partys erweitern den Freundeskreis augenblicklich. Man muss nicht allein sein, wenn man es nicht will. Ach, du liebe quarter life crisis! Arbeitenden Menschen gelingt der Sozialisierungsprozess offensichtlich nicht so schnell; vor allem, wenn man auch nicht mehr auf seine bisherigen Freunde zurückgreifen kann, weil man ja das Land gewechselt hat.

Ein Arbeitsplatz ist eine Ansammlung unterschiedlich gestimmter Seelen, die sich an einer Wegkreuzung getroffen haben, um in die gemeinsame Richtung weiterzulaufen. Die jeweiligen Interessen streben logischerweise meistens auseinander. Ich liebe die Charaktere in einem Büro - es ist wie eine schlechte Fernsehserie voll von Intrigen, Klatsch und Tratsch und einer täglichen Modeschau (seltsamerweise beginnt man bald selbst, elegante Röcke zu tragen und wert auf sein Äußeres zu legen).

Wie will man denn außerhalb der Arbeitszeit jemanden kennen lernen? (Vor allem wenn die Kollegen Mittagspausen zu unterschiedlichen Zeiten haben und man sein mikrowellengewärmtes Essen wiederum in trauter Einsamkeit verzehrt.) Man ist allein, obwohl man den ganzen Tag von Kunden vollgelabert wird und man ertränkt die abendliche Leere am liebsten mit Serien auf Netflix und einem Glas Wein. Und ja, ich besitze nun Geld. Aber Freunde kaufen kann ich mir deshalb auch keine.

Every day I'm here I'm pushing harder.

Der korpulente ältere Herr neben mir hat gerade mit großem Genuss seinen Toast verschlungen und dabei kein Fitzelchen an Butter und Marmelade übrig gelassen. Er grunzt zufrieden und reibt sich die Hände. Mein Blick wandert wieder hinaus auf die Straße. Der Himmel ist nun strahlend blau und ich sehe ein Flugzeug, das gerade in den Himmel aufsteigt. Vor ein paar Monaten hätte ich ihm sehnsüchtig nachgestarrt, hätte mich gerne darin gesehen; so prätentiös erschien dieser Ort. Plötzlich hat sich meine Situation geändert. Ich fühle Stolz in mir hochkommen, ein rares Gefühl, das sich seit Ewigkeiten nicht mehr blicken hat lassen. I have moved on: ich bin endlich an dem Punkt angekommen, an dem ich meine Freunde wieder selbst wählen kann, um mir ein soziales Leben aufzubauen.

Hier sitze ich also, auf einem riesigen Spielteppich, inmitten von bunten Bauklotztürmen, die ich der Reihe nach umstoßen werde. Und mein guter Gedanke ist: ich werde dies nicht alleine tun.